Geschichte geschlechterneutraler Sprache

Von Isabelle Stier am 13. Juli 2023

Wusstest du, dass geschlechtergerechte Sprache nicht erst seit ein paar Jahren Thema ist, sondern schon in den 1960er Jahren von Feministinnen praktiziert wurde? Sie haben den Schrägstrich benutzt, um Frauen in der Sprache sichtbar zu machen, also zum Beispiel so:
Lehrer/innen. Aber genau wie heute, gab es auch damals schon Kritik daran. Während sich einige über das Gendern generell aufregten, gab es auch unter den Feministinnen selbst Kritikerinnen. Sie störten sich daran, dass die Frau durch den Schrägstrich sprachlich untergeordnet und nur als Anhang zur männlichen Version benannt wird. In den 1970er Jahren entwickelte sich die geschlechtergerechte Sprache weiter und es gab sogar erste Richtlinien von Ämtern und Institutionen, wie zum Beispiel der UNO. Diese veröffentlichte den sogenannten „Guide to Non-Sexist Language”.  

von Isabelle Stier

Heute gibt es sehr viele verschiedene Möglichkeiten, geschlechtergerechte Sprache zu nutzen. Weiter unten findest du einen Guide, in dem wir die gängigen Optionen auflisten, damit du dir einen Überblick verschaffen kannst. Eine weitere Möglichkeit ist die Nutzung des Binnen-I. Diese wurde 1981 von einem Journalisten erfunden. Es ersetzt den Schrägstrich, funktioniert also folgendermaßen: LehrerInnen. Aber auch bei dieser Möglichkeit folgte Kritik, denn das Binnen-I ignoriert all jene Menschen, die sich nicht dem binären Geschlechtersystem unterordnen wollen. Zudem wird es als Eingriff ins Wort gewertet und gilt als unschön für den Lesefluss. 

2003 wurde dann erstmals der Gender-Gap, also der Unterstrich _ genutzt, also so: Lehrer_innen. Dieser soll Menschen aller Geschlechter mit berücksichtigen, hat sich bis heute aber nicht in der breiten Öffentlichkeit durchgesetzt. Das Gendersternchen (Lehrer*innen) wurde erstmals in den 1990er-Jahren in englischsprachigen LGBT-Communities genutzt und als “trans asterisk” bekannt. Eine Möglichkeit, die erst in den letzten Jahren entstanden ist, ist der Doppelpunkt (Lehrer:innen). Sie gilt als besonders inklusiv, da das Zeichen von Screen-Readern für Blinde als kurze Pause gelesen wird.


Darum ist Gendern in der Sprache so wichtig

Der Begriff „Gender“ steht übrigens für das soziale Geschlecht, also für das, was häufig als typisch für Frauen oder typisch für Männer angesehen wird. Damit dir klar wird wie wichtig es ist, geschlechtergerechte Sprache zu nutzen, haben wir hier ein Rätsel für dich:


Vater und Sohn fahren im Auto. Sie haben einen schweren Unfall, bei dem der Vater sofort stirbt. Der Sohn wird mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus gebracht, in dem ein Chef-Chirurg arbeitet, der eine bekannte Kapazität für Kopfverletzungen ist. Die Operation wird vorbereitet, alles ist fertig, als der Chef-Chirurg erscheint, blass wird und sagt: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“.

Frage: In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen der Chirurg und das Kind?

Eine schriftliche „Idee“ wird in das „Gehirn", das aus einem Karton besteht, gesteckt.

Na, hast du bei diesem Rätsel auch gegrübelt? Ist der Junge adoptiert, lebt er mit zwei Vätern oder ist er ein uneheliches Kind? Nein, denn die Antwort ist: Der Chirurg ist die Mutter des Kindes, also eigentlich die Chirurgin.

Du siehst hier sehr deutlich, dass Sprache Bilder im Kopf entstehen lässt. Beim generischen Maskulimum denken wir nun mal an einen männlichen Arzt. Die Möglichkeit, dass eine Frau Chef-Chirurgin ist, kommt vielen Menschen als Lösung des Rätsels gar nicht in den Sinn. Das Gleiche gilt für Abteilungsleiter und Polizisten, wohingegen wir bei einem Frisör eher eine Frau im Kopf haben. Geschlechtergerechte Sprache spielt eine wichtige Rolle darin, klischierte Bilder aufzulösen und alle Menschen zu repräsentieren und wertzuschätzen. Denn obwohl geschlechtergerechte Frage schon ein großes Thema ist, wird die männliche Form (das generische Maskulinum) viel häufiger genutzt als die weibliche Form (das generische Femininum).

Foto: SHVETS, pexels.com 


Gendern in anderen Sprachen

Auch in anderen Ländern und damit in anderen Sprachen ist das Gendern Thema. Im Englischen gibt es nicht so viele Probleme, da in der Sprache vieles neutral ist und für Menschen aller Geschlechter passend. Es gibt in vielen Fällen die Möglichkeit, Begriffe durch geschlechtsneutrale Alternativen zu ersetzen, wie zum Beispiel im Falle von „police man”, das zu „police” wird, „he” wird durch „he or she” ersetzt.

Anders in Frankreich, wo der Bildungsminister zeitweise sogar verboten hat, Schulen schriftlich zu gendern. Im Französischen wird in der Regel mit einem Punkt (dem Mediopunkt) gegendert, der teilweise nicht nur an einer, sondern an zwei Stellen gesetzt wird. Das sieht dann zum Beispiel so aus: déput·e·s

In Polen ist es nochmal komplizierter, denn das Geschlecht eines Substantivs verändert im Polnischen nicht nur seine Endung, sondern je nach Fall auch die Endungen davon abhängiger Adjektive und Verben. Weibliche und männliche Bezeichnungen für Berufe sind je nach Sozialstatus häufiger oder weniger häufig im Gebrauch. Auffällig ist, dass je höher der Status eines Berufs in der Gesellschaft, desto seltener sind eigene weibliche Bezeichnungen.

 

Fazit

Geschlechtergerechte Sprache, also Gendern, ist kein Phänomen, das sich nur auf die deutsche Sprache beschränkt. Und manche Person mag es überraschen, gendern ist auch keine Methode, die erst in den letzten fünf Jahren erfunden wurde. Bereits seit den 1960er Jahren wird in bestimmten Kreisen gegendert. Warum das notwendig ist, hast du an unserem kleinen Sprach-Rätsel gesehen: Sprache lässt Bilder in unserem Kopf entstehen, die dann unsere Denkweise und unser Handeln beeinflussen. Ein wichtiger Schritt, um Gleichberechtigung für alle Menschen und vor allem Minderheiten zu schaffen, ist also unsere Sprechweise entsprechend anzupassen – zu gendern.

 

 

Themen: JUNGMUT, LGBTQIA+-Inklusion, Allies, LGBTQIA+, gendern, Gleichberechtigung, geschlechtergerechte Sprache