Von Storytelling zu Story-Living: Was ich von der SXSW 2025 über die Zukunft gelernt habe


09.04.2025, von

SXSW war wie immer überwältigend, laut, bunt, visionär – aber vor allem: ein verdammt klarer Blick in die Zukunft. Ich bin nach Hause gekommen mit dem Gefühl, nicht nur Trends gesehen zu haben, sondern Antworten auf Fragen gefunden zu haben, die wir uns erst 2028 stellen werden. In diesem Blogbeitrag teile ich die wichtigsten Learnings meiner Reise – von Tech-Trends über immersives Storytelling bis hin zu der Erkenntnis, dass Fokus vielleicht das unterschätzteste Supertool der Zukunft ist.

1. KI und Biologie verschmelzen – und verändern alles

Amy Webb hat mit ihrem Tech Trend Report 2025 gleich zu Beginn ein Brett geliefert. Drei Cluster prägen unsere Zukunft – und einer davon hat mich besonders beschäftigt: die Fusion von Künstlicher Intelligenz mit Biotechnologie.

Wir reden hier nicht mehr über „Computer“. Wir reden über Chips, die auf menschlichen Gehirnzellen basieren. Über Sensoren, die unsere Umgebung nicht nur wahrnehmen, sondern Entscheidungen treffen. Über Biologie, die durch No-Code-Tools wie ein Betriebssystem programmiert werden kann.

Was mich besonders beeindruckt hat: Diese Entwicklungen sind keine Visionen mehr – sie existieren bereits. Es gibt erste Chips, die mit menschlichen Gehirnzellen arbeiten, Open-Source-Bibliotheken, mit denen sich biologische Prozesse simulieren lassen, und Anwendungen, die KI und Biologie zu etwas Neuem verschmelzen lassen. Die Idee, dass wir Materialien entwickeln können, die sich verhalten wie Nashornhaut oder die Luft reinigen wie Bäume, hat mein Denken über Design und Nachhaltigkeit verändert.

Diese Gedanken wurden in der Session von Colossal Biosciences noch weiter zugespitzt. Ihre Vision: nicht nur ausgestorbene Arten wie das Mammut zurückzubringen, sondern das gesamte Toolkit der synthetischen Biologie zu nutzen, um bestehendes Leben zu schützen – und langfristig sogar biologische Unsterblichkeit zu ermöglichen. Der nächste logische Schritt? Die Expansion der Menschheit in den interstellaren Raum. Science Fiction wird Science Fact. Und das Tempo ist atemberaubend.

2. Storytelling war gestern – willkommen im Zeitalter des Story-Living

Was sich wie ein Buzzword anhört, wurde auf der SXSW zur bitteren Wahrheit für alle Marken: Wer weiterhin einfach nur „erzählt“, verliert. Die Zukunft gehört den Marken, die Geschichten erlebbar machen. Und das nicht theoretisch, sondern ganz konkret.

Disney zeigt, wie es geht:

In der Session zur Zukunft des World-Building bei Disney waren die kreativsten Köpfe der Company auf der Bühne – inklusive Pete Docter von Pixar, Kevin Feige von Marvel und Jon Favreau von Star Wars. Was sie gezeigt haben, war mindblowing: Attraktionen, bei denen sich frei bewegliche Roboter durch die Parks bewegen. Eine Iron-Man-Achterbahn, bei der Roboterarme einzelne Besucherpods in Bewegung setzen. Und ein Story-Ansatz, bei dem Geschichten aus den Filmen nicht einfach wiedergegeben, sondern im Park weitererzählt und fortgeführt werden.

„In den Parks ist alles ein Close-up – die Besucher:innen sind die Kamera.“ – Pete Docter

Die Soon Futures Studie bringt es auf den Punkt:

Die Zukunft der Brand Experience ist nicht linear, nicht digital, sondern multisensorisch, immersiv und zutiefst menschlich. Marken werden zu Bühnen, Communities zu Mitgestaltern und Produkte zu Erinnerungsankern.

Die fünf wichtigsten Trends:

  1. The Outtie Child – Nostalgie und Kindheit als emotionale Verankerung (12–15 Jahre als prägende Phase)
  2. The Prison of Joy – Algorithmische Vorhersehbarkeit wird durch gezielte kulturelle Kollisionen ersetzt
  3. Manual Living – Slow Luxury, Haptik, Analogität als neue Premium-Erfahrung
  4. Beyond the 4th Wall – Kuratierte Authentizität, parasoziale Beziehungen, echte Momente
  5. HC3 – Hyper-Conscious Climate Culture – Nachhaltigkeit nicht als Add-on, sondern als integrativer Teil von Experience Design

Marken, die es schaffen, Erinnerungen zu designen – und nicht nur Inhalte zu liefern – werden relevant bleiben.

3. Fokus schlägt FOMO – was ich von Apple für mich selbst gelernt habe

In der Session mit Eddy Cue (Apple) und Ben Stiller ging es nicht nur um die Serie „Severance“, sondern um etwas viel Grundsätzlicheres: Fokus. Apple macht bewusst weniger – aber das richtig. Keine Gießkanne, keine Feature-Flut, sondern radikale Konzentration auf Qualität. Weniger Projekte, mehr Wirkung.

Und ich? Ich habe in den letzten Monaten genau das bei mir selbst und in meinem Team umgesetzt: Fokuszeiten blocken. In diesen Zeiten bin ich nicht erreichbar. Und ich fördere das auch bei meinen Kolleg:innen aktiv. Jede:r kann sich Zeiten im Kalender eintragen, um tief zu arbeiten. Und das funktioniert. Es bringt Klarheit. Es bringt Qualität. Und es bringt Ergebnisse.

„Ich erreiche mehr, wenn ich weniger gleichzeitig mache.“

Diese Haltung haben wir im Team verankert – nicht als starren Prozess, sondern als kulturelles Commitment. Wer Deep Work will, muss dafür Raum schaffen.

4. Pattern Breakers – warum einige Startups die Zukunft prägen

Mike Maples hat mit „Pattern Breakers“ eine Perspektive eröffnet, die jeder Gründer kennen sollte. Seine These: Die Start-ups, die alles „richtig“ machen, gewinnen oft nicht. Die, die Regeln brechen, dagegen schon.

„Manche Ideen sind so offensichtlich, dass niemand vorher darauf gekommen ist.“

Beispiele wie Spotify oder das Marvel Cinematic Universe zeigen: Wahre Innovation entsteht, wenn man neue Kombinationen wagt, früh Nischen besetzt und Momentum clever nutzt. Und: Erfolg ist selten linear. Er kommt dann, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft.

Ein Satz blieb mir besonders hängen: „Chance favors the prepared mind.“

5. Daten, Macht und Manipulation – warum wir KI nicht ohne Ethik denken können

Die bedrückendste, aber auch wichtigste Session für mich war die über digitale Überwachung, Datenmissbrauch und die Parallelen zur Stasi. Was früher Akten waren, sind heute Datenpunkte. Was früher ein Staat war, ist heute ein globales Plattformnetzwerk. Und was früher Einschüchterung war, ist heute algorithmische Realität.

„Die größte Leistung der Stasi war nicht die Überwachung, sondern die Indoktrination.“ – Zitat aus der Session

Ich musste an Social Media denken. An personalisierte Filterblasen. An die Influencerin in Russland, die Kinder dazu auffordert, ihre Freund:innen wegen unpatriotischen Verhaltens zu melden. An die Unmöglichkeit, heute noch sicher sagen zu können, woher eine Information stammt. Und an die Frage: Was tun wir als Marke, als Unternehmen, als Gesellschaft dagegen?

„Was die Stasi mit Menschen gemacht hat, macht Social Media heute im großen Stil – mit dem Unterschied, dass wir zustimmen, bevor wir es merken.“

Diese Session hat mich nicht nur zum Nachdenken gebracht, sondern zum Umdenken.

6. Gen Z baut Social Media neu – und zwar von unten

Emma Lembke hat in ihrer Session gezeigt, wie Gen Z Plattformen nicht nur nutzt, sondern komplett neu denkt. Weg vom Engagement-Modell, hin zu echten Verbindungen, mentaler Gesundheit und Plattformdesigns, die nicht süchtig machen, sondern stärken.

Die Bewegung ist bottom-up. Authentisch. Aktivistisch. Und sie ist nicht naiv – sie weiß um die Gefahren, aber entscheidet sich bewusst für neue Wege. Plattformen wie BeReal oder Open-Source-Netzwerke gewinnen an Bedeutung.

Und das bringt uns direkt zur nächsten Keynote …

7. Die Zukunft von Social Media ist offen – Bluesky zeigt wie

Jay Graber, CEO von Bluesky, hat in ihrer Keynote ein Modell vorgestellt, das Social Media neu definiert: offen, interoperabel, nutzerzentriert. Schluss mit Plattform-Gefängnissen. Schluss mit Algorithmus-Abhängigkeit. Nutzer:innen bekommen die Kontrolle zurück – über ihre Daten, ihre Communities und ihre Feeds.

Bluesky ist mehr als ein Twitter-Klon. Es ist ein Statement: für ein dezentrales Social Media, das nicht in der Hand weniger Konzerne liegt.

8. Deepfakes und die Frage: Wie viel Wahrheit bleibt uns?

In der Session „Deepfake Dilemma“ ging es um die Frage, wie wir Innovation mit Regulierung in Einklang bringen. KI-Voice-Cloning, synthetische Videos, gefälschte Bilder – all das ist nicht mehr Zukunft, sondern Gegenwart. Und die Bedrohung ist real: von politischer Manipulation über Identitätsdiebstahl bis hin zu massiver Desinformation.

Die Herausforderung: Technologie weiterentwickeln, ohne Vertrauen in den öffentlichen Diskurs zu verlieren. Das geht nur mit klaren ethischen Standards, besseren Detektionssystemen – und vor allem: Medienkompetenz. Denn ohne kritisches Denken wird jede Wahrheit zur manipulierbaren Illusion.

Fazit: Die Zukunft ist nicht digital – sie ist spürbar

Was bleibt, sind nicht die Slides oder Tech-Demos. Was bleibt, sind die Erinnerungen: an erlebte Marken, echte Emotionen und radikale Ehrlichkeit.

Die Zukunft gehört denjenigen, die es schaffen, digital und analog, Technologie und Menschlichkeit, Story und Erlebnis so zu verbinden, dass daraus echte Erinnerungen entstehen.

Wer in Zukunft mit seiner Marke Relevanz will, muss nicht lauter sein, sondern echter. Nicht digitaler, sondern menschlicher. Nicht mehr erzählen – sondern erlebbar machen.

Und genau das ist die Essenz von Story-Living.