#heimkommen — Der neue EDEKA-Spot: Pietätlos oder schlichtweg genial?

Von Andreas Peters am 02. Dezember 2015

Es gibt diese Spots… Meist machen sie kurz vor großen Festtagen die Runde und erregen die Werbergemüter. Sie entflammen heiße Diskussionen über Plagiat, Originalität und Einfallsreichtum. Nur selten schwappen diese Diskussionen über den Rand des Werbermikrokosmos hinaus und entpuppen sich als Zündstoff, der es vermag, einen Diskurs über gesellschaftliche Themen neu zu entflammen. So geschehen nun im Falle des EDEKA-Spots #heimkommen von Jung Von Matt.

von Andreas Peters

Die Weihnachtszeit ist eine Hochsaison für Supermärkte. Die dunkle und kalte Jahreszeit treibt die Menschen zurück in ihre kuscheligen Wohlstandshöhlen, der Kühlschrank muss voll sein und die erste Weihnachtsdeko füllt schon im September die Regale. Eine Zeit also, in der werbe- und marketingtechnisch einiges zu gehen scheint. Selten jedoch wurde die Gunst der Stunde so eindringlich genutzt, wie von EDEKA und Jung Von Matt (JvM) mit dem neuen Weihnachtsspot #heimkommen. Seit 4 Tagen kursiert dieser Spot durch die Medien und kreiert einen Nachhall, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Nicht nur in den Sozialen Medien (Stand jetzt: über 18 Millionen Klicks auf YouTube), sondern auch auf der Straße und in einschlägigen Online-Angeboten großer Medien Dienste wie Die Welt, n-tv oder dem Focus wird die traurige Geschichte des einsamen, alten Mannes diskutiert, der erst sterben muss, damit seine Familie sich an den Feiertagen überhaupt für ihn interessiert.

https://www.youtube.com/watch?v=V6-0kYhqoRo&ab_channel=EDEKA

 

Pietätlos oder genial — Was darf Werbung?

Die Wirkungskraft der Story ist unbestritten. JvM setzt auf eine Geschichte, die wohl jeder so in seinem engen oder weiteren Familien- und Bekanntenkreis kennt und die auch in der Kunst ein klassisches Leitmotiv ist. Von den Beatles („Eleanor Rigby“) über Pur („Wenn Sie diesen Tango hört“) bis hin zu Pixar („Oben“): Vereinsamte und vernachlässigte alte Menschen sind in der Popkultur ein wiederkehrendes Thema, weil sie ein gesellschaftliches Problem widerspiegeln, das wir seit Jahrzehnten mit Alten- und Seniorenheimen zu bekämpfen versuchen, anstatt den Ursprung des Problems anzupacken. Und deswegen ist das Topos des einsamen, alten Menschen ein so wirksames. Weil es wahr ist. Weil wir es kennen. Weil wir selbst Schuld daran tragen. Man vermag gar nicht zu zählen, wie viele Hände nach dem Betrachten von #heimkommen zum Hörer griffen, um wahlweise die Oma, den Opa, die Mama oder den Papa anzurufen. Um einfach mal zu hören, wie es denn so geht oder eben die Pläne für die Festtage nochmal festzuzurren. Denn wer weiß schon, wie lange das noch möglich ist.

Dem Spot Pietätlosigkeit vorzuwerfen bedeutet, die Augen vor einem gesellschaftlichen Problem zu schließen, das hier gezielt und clever genutzt wurde. Nicht nur, um Werbung für eine Supermarktkette zu machen, sondern um ein katharsisches Momentum zu erzeugen, Menschen wach zu rütteln und Ihnen den Sinn der Festtage noch einmal vor Augen zu führen. #heimkommen ist in erster Linie ein Imagefilm für Nächstenliebe, der geschickt mit dem Image der Supermarktkette EDEKA verknüpft wurde. Der Eindruck der Pietätlosigkeit rührt vermutlich auch aus dem Fehlen eines klassischen Happy Ends, doch nur dieses stilistische Mittel generiert doch die Wucht, mit der uns diese rührende Geschichte trifft — und zwar mitten ins Herz. Weil sie real ist und die Realität nunmal kein Happy End hat. All we have is now — und genau da setzt das katharsische Momentum ein. Werbung darf, was Kunst auch darf — die menschliche Emotion wecken, sie kanalisieren und instrumentalisieren.

 

Wie profitiert EDEKA?

Trotz allem darf nicht vergessen werden, dass EDEKA JvM nicht bezahlt hat, um einen Imagespot für Nächstenliebe und Familie zu drehen. Doch genau dieser Ansatz, das Fehlen von Productplacement und die subtile Kommunikation der Marke EDEKA, dürften sich als imagefördernd für die Marke herausstellen. Wie Jens Pfau, der verantwortliche Kreative hinter dem Spot, richtigerweise feststellt: „Weihnachten ist das Fest der Liebe, das man mit seiner Familie verbringen sollte. Keiner sollte alleine sein. Und diese Botschaft vermittelt der Spot auf sehr ehrliche und aufrichtige Weise” und bestätigt die Intention des Spots:„Wenn wir es schaffen, auch nur ein paar Menschen davon zu überzeugen, an Weihnachten doch nach Hause zu kommen, haben wir viel erreicht.”. Viel erreicht vor allem deswegen, weil die Diskussion über den Spot anhalten wird und die positive Emotion, die diesem traurigen Spot folgt, eng mit der Marke EDEKA verknüpft sein wird — und zwar über die Festtage hinaus.

Themen: Gesellschaft, Branding, Social Media, Storytelling